Entscheidungen treffen: Warum du auf Kopf, Herz und Bauch hören solltest

Kennst du das? Du stehst vor einer wichtigen Entscheidung und dein Kopf sagt das eine, dein Herz das andere und dein Bauch meldet sich auch noch zu Wort. Oder du hast dich eigentlich für etwas entschieden, aber irgendetwas fühlt sich nicht stimmig an. Solche inneren Konflikte sind ganz normal. Sie zeigen, dass unsere Entscheidungsfindung nicht nur eine Sache des rationalen Denkens ist. Tatsächlich legen Forschungsergebnisse nahe, dass wir so etwas wie drei „Gehirne“ haben: das Kopfgehirn, das Herzgehirn und das Bauchgehirn.

Diese drei Zentren haben unterschiedliche Aufgaben, „Sprachen“ und Prioritäten. Und sie beeinflussen, oft unbewusst, unsere Entscheidungen. In diesem Artikel erfährst du, wie diese drei Gehirne funktionieren, wie sie miteinander kommunizieren (Stichwort: Vagusnerv) und wie du durch wissenschaftliches Embodiment lernen kannst, ihre Signale besser zu verstehen und in Einklang zu bringen.

Was ist wissenschaftliches Embodiment? (Kurzerklärung)

Wissenschaftliches Embodiment ist ein Ansatz, der auf Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften, der Psychologie und anderen Disziplinen basiert. Es geht darum, die enge Verbindung zwischen Körper und Geist zu verstehen und zu nutzen, um unser Wohlbefinden, unsere Leistungsfähigkeit, unsere Entscheidungsfindung zu verbessern, oder z.B. Stressmuster abzubauen und Traumata zu integrieren. Im Gegensatz zu spirituellen oder rein intuitiven Ansätzen stützt sich wissenschaftliches Embodiment auf evidenzbasierte Methoden und Forschungsergebnisse. (Für eine ausführlichere Erklärung siehe Blogartikel 1: „Embodiment: Wissenschaft vs. Spiritualität – Was ist der Unterschied und warum ist er wichtig?“)

Das Kopfgehirn: Der Denker

Das Kopfgehirn, also unser Gehirn im Schädel, ist das, was wir am meisten mit „Denken“ verbinden. Es ist zuständig für:

  • Logisches und analytisches Denken: Probleme lösen, planen, Informationen verarbeiten, Sprache.
  • Kognitive Wahrnehmung: Sinneseindrücke verarbeiten, Muster erkennen, Schlussfolgerungen ziehen.
  • Bewusstsein: Unser „Ich-Bewusstsein“ ist hier verortet.

Stärken: Das Kopfgehirn ist unschlagbar, wenn es darum geht, komplexe Sachverhalte zu analysieren, Vor- und Nachteile abzuwägen und langfristige Pläne zu schmieden.

Schwächen: Es kann sich in Details verlieren, zu viel grübeln, Ängste und Sorgen produzieren und die Signale des Körpers übergehen. In unserer modernen, kopflastigen Welt neigen wir dazu, das Kopfgehirn zu überbetonen.

Das Herzgehirn: Der Fühler

Das Herzgehirn, auch affektives Gehirn genannt, ist mehr als nur eine Metapher. Die Neurokardiologie hat gezeigt, dass das Herz ein eigenes, komplexes Nervensystem besitzt, das unabhängig vom Kopfgehirn Informationen verarbeiten und Entscheidungen treffen kann (Armour, 2003). Es ist zuständig für:

  • Emotionen: Freude, Trauer, Liebe, Wut, Angst – all das spüren wir im Herzen.
  • Werte: Was ist uns wirklich wichtig? Was gibt unserem Leben Sinn?
  • Beziehungen: Das Herzgehirn ist zentral für unsere Fähigkeit, uns mit anderen zu verbinden, Mitgefühl zu empfinden und Beziehungen aufzubauen.

Neurokardiologie: Das Institute of HeartMath hat Pionierarbeit geleistet und gezeigt, dass das Herz über 40.000 Neuronen verfügt und ein starkes elektromagnetisches Feld erzeugt, das unsere Gehirnaktivität und die anderer Menschen beeinflussen kann (Armour, 2003).

Herz-Kohärenz: Ein Zustand, in dem Herzschlag, Atmung und Blutdruck in einem harmonischen Rhythmus schwingen. Herz-Kohärenz wird mit emotionaler Ausgeglichenheit, verbesserter kognitiver Funktion und Stressreduktion in Verbindung gebracht.

Das Bauchgehirn: Der Instinktive

Das Bauchgehirn, auch enterisches Nervensystem genannt, ist ein riesiges Netzwerk von Nervenzellen, das unseren gesamten Verdauungstrakt durchzieht. Es wird oft als „zweites Gehirn“ bezeichnet, weil es unabhängig vom Kopfgehirn agieren kann (Gershon, 1999). Es ist zuständig für:

  • Intuition: Dieses „Bauchgefühl“, das uns sagt, ob etwas stimmig ist oder nicht, ohne dass wir genau erklären können, warum.
  • Selbsterhaltung: Das Bauchgehirn ist eng mit unserem Überlebensinstinkt verbunden. Es reagiert auf Bedrohungen und sorgt dafür, dass wir in Sicherheit sind.
  • Mut: Die Fähigkeit, Risiken einzugehen und für das einzustehen, was uns wichtig ist.
  • Identität: Wer bin ich, was will ich wirklich?

Enterisches Nervensystem: Dr. Michael D. Gershon (1999) prägte den Begriff „zweites Gehirn“ und zeigte, dass der Darm über mehr Neuronen verfügt als das Rückenmark und eine Vielzahl von Neurotransmittern produziert, die auch im Kopfgehirn vorkommen (z.B. Serotonin). Die Rolle der drei Gehirne bei Entscheidungen wird auch in Studien von Soosalu, Henwood und Deo (2019) untersucht.

Der Vagusnerv: Die Kommunikationsautobahn

Wie kommunizieren diese drei Gehirne miteinander? Der Vagusnerv ist der Hauptakteur. Er ist der längste Hirnnerv und verläuft vom Gehirn durch den Hals und Brustkorb bis in den Bauchraum. Er ist die wichtigste Verbindung zwischen dem Kopfgehirn und den Organen des Herz-Kreislauf-Systems und des Verdauungstrakts (Porges, 2011).

  • Einfache Erklärung des Nervensystems: Stell dir das Nervensystem als ein Netzwerk von Straßen vor. Der Vagusnerv ist die Autobahn, die die wichtigsten Städte (Gehirn, Herz, Bauch) miteinander verbindet. Über diese Autobahn werden ständig Informationen in beide Richtungen ausgetauscht.
  • Bidirektionale Kommunikation: Der Vagusnerv leitet nicht nur Signale vom Gehirn an die Organe, sondern auch von den Organen zurück zum Gehirn. Das bedeutet, dass unser Herz und unser Bauch unser Denken und Fühlen maßgeblich beeinflussen (Porges, 2011).
  • Regulation des autonomen Nervensystems: Der Vagusnerv spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation des autonomen Nervensystems, das zwischen Anspannung (Sympathikus) und Entspannung (Parasympathikus) umschaltet (Porges, 2011).

Wissenschaftliches Embodiment als Bindeglied: Die drei Gehirne in Einklang bringen

Wenn Kopf, Herz und Bauch unterschiedliche Dinge „sagen“, kann das zu inneren Konflikten, Stress und Unwohlsein führen. Wissenschaftliches Embodiment bietet hier einen Ansatz, um die Kommunikation zwischen den drei Gehirnen zu verbessern und sie wieder in Einklang zu bringen.

  • Wie wissenschaftliches Embodiment wirkt: Wissenschaftlich fundierte Embodiment-Übungen schulen die Körperwahrnehmung. Wir lernen, die feinen Signale unseres Körpers besser zu spüren und zu deuten. Das ermöglicht uns, bewusster wahrzunehmen, was unser Herz uns sagen will, was unser Bauchgefühl uns rät und wie unser Kopf all das bewertet. Dies steht im Gegensatz zu rein kognitiven Ansätzen, die oft die Weisheit des Körpers vernachlässigen. Langfristig geht es beim wissenschaftlichen Embodiment darum, den Körper wieder in einen Zustand des Gleichgewichts zu bringen. Der Körper lernt, seine natürlichen Regulationsmechanismen, die wir oft durch chronischen Stress und ein überaktives Kopfgehirn unterdrücken, wieder zu aktivieren. Dazu gehören automatischer Stressabbau, die Regulation des Nervensystems, die Verarbeitung von Traumata und Anspannungsmustern sowie die Förderung emotionaler Ausgeglichenheit – ohne, dass wir dies willentlich steuern oder ständig darüber nachdenken müssen. Denn unser Körper weiß, wie das geht; wir müssen ihm nur wieder den Raum geben, es zu tun.

 

Fazit: Höre auf die Weisheit deines Körpers – für mehr als nur gute Entscheidungen

Unsere Entscheidungsfindung ist ein komplexer Prozess, der von mehr als nur unserem rationalen Verstand beeinflusst wird. Kopf, Herz und Bauch haben ihre eigenen „Stimmen“, die es wert sind, gehört zu werden. Aber es geht um mehr als das. Wissenschaftliches Embodiment bietet uns Werkzeuge und Techniken, um die Kommunikation zwischen diesen drei Gehirnen zu verbessern, ihre Signale besser zu verstehen und so zu integrierten Entscheidungen zu gelangen, die im Einklang mit unserem ganzen Wesen stehen. 

Das eigentliche Ziel geht jedoch über die Entscheidungsfindung hinaus: Es geht darum, das natürliche Gleichgewicht in unserem Körper wiederherzustellen. Wenn wir lernen, auf die Weisheit unseres Körpers zu hören und ihm zu vertrauen, ermöglichen wir ihm, seine inhärenten Fähigkeiten zur Selbstregulation, Stressbewältigung, Trauma-Integration, emotionaler Regulation uvm. voll zu entfalten.

 

Quellen:

  • Armour, J. A. (2003). Neurocardiology: Anatomical and functional principles. Boulder Creek, CA: Institute of HeartMath.
  • Gershon, M. D. (1999). The second brain: A groundbreaking new understanding of nervous disorders of the stomach and intestine. HarperCollins.  
  • Porges, S. W. (2011). The polyvagal theory: Neurophysiological foundations of emotions, attachment, communication, and self-regulation. WW Norton & Company.  
  • Soosalu, G., Henwood, S., & Deo, A. (2019). Head, heart, and gut in decision making: Development of a multiple brain preference questionnaire. SAGE Open, 9(1), 1-17. DOI: 10.1177/2158244019837439  
  • Oka, M. (2016, July 26). The three brains: Why your head, heart and gut sometimes conflict. Australian Spinal Research Foundation. Retrieved from https://spinalresearch.com.au/three-brains-head-heart-gut-sometimes-conflict/
  • Gorman, B (2019). Change Leadership: Why Your Head, Heart And Gut Are Critical To Listen To. Forbes Coaches Council.